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Junger Arzt frustriert von Bürokratie
Elnur/shutterstock.com

Ärzte schlagen Alarm - Schadet die Bürokratie unserem Gesundheitswesen?

Die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und ambulanten Einrichtungen haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. In einer Umfrage des Marburger Ärztebundes gaben 25 % der befragten Ärzte an, über einen Berufswechsel nachzudenken. Weitere 18 % zeigten sich unsicher hinsichtlich ihrer Berufswahl. Unter Ärzten und Pflegepersonal steigt die alltägliche Belastung, was medizinische Berufe immer unattraktiver macht. Einer der Hauptgründe für die wachsende Unzufriedenheit in der Branche ist der ständig wachsende Bürokratieaufwand. Ärzte und Pfleger haben das Gefühl, nicht genug Zeit für ihre Patienten zu haben. Das löst Stress im Arbeitsalltag aus und sorgt für fehlende Wertschätzung medizinischer Berufe. Rufe nach politischen Reformen und einem Entgegenkommen der Versicherungen werden lauter, um dem bundesweiten Fachärztemangel entgegenzuwirken und den Arztberuf wieder attraktiver zu gestalten.

In diesem Artikel:

Wofür steht der Doctor's Docu Day?

Um auf bürokratische Missstände im deutschen Gesundheitswesen hinzuweisen, haben Ärztegewerkschaften den Doctor's Docu Day ins Leben gerufen, der 2022 auf den 24. Juli fiel. Rechnet man die Arbeitszeit von Ärzten auf ein Jahr hoch, so würden sie ab dem 24. Juli den Rest des Jahres mit dem Ausfüllen und Abwickeln von bürokratischen Angelegenheiten rund um die Behandlungen verbringen.

Wie viel Arbeitsaufwand bedeutet Bürokratie im medizinischen Alltag?

- Rund 60 % aller vom Marburger Bund befragten Ärzte geben an, täglich mindestens 3 Stunden Arbeitszeit mit bürokratischen Angelegenheiten zu verbringen.

- 35 % der Befragten gaben an, täglich vier Stunden oder mehr für bürokratische Angelegenheiten aufzuwenden.

- Im Jahr 2013 lag der Anteil von Ärzten mit hohem bürokratischen Aufwand im Arbeitsalltag noch bei 8 %.

Wie lässt sich der Arbeitsaufwand verringern, um Personalmangel entgegenzuwirken?

Der übermäßig hohe bürokratische Aufwand für Krankenhäuser und Arztpraxen wirkt sich direkt auf die Personalverfügbarkeit aus. Je mehr Zeit eingestellte Pfleger und Ärzte mit bürokratischen Erledigungen verbringen müssen, desto weniger Zeit bleibt für Patienten. Das erhöht wiederum künstlich den Personalbedarf. Ließe sich der Bürokratieaufwand für Ärzte im Alltag reduzieren, könnten diese mehr Arbeitsstunden für die Behandlung von Patienten aufbringen und den Behandlungsbedarf in ihrer Region so effizienter abdecken. Versicherungen und Politik müssen bürokratische Prozesse vereinfachen und die Digitalisierung vorantreiben, damit das Gesundheitswesen mit internationalen Standards mithalten kann.

Wann gefährdet Bürokratie die Patientenversorgung?

Befragungen von Klinikpersonal und Ärzten in ambulanten Einrichtungen ergeben, dass viele bürokratische Prozesse im Alltag von medizinischem Personal als überflüssig wahrgenommen werden. Reformen und Modernisierungen sind dringend nötig, da es an verschiedenen Stellen im Gesundheitssystem hakt. Die vom Marburger Bund erfassten Probleme treten fast flächendeckend in deutschen Krankenhäusern und Praxen auf:

1. Bürokratische Arbeitsverteilung in Kliniken und Praxen

Die Datenerfassung und Dokumentation von Patientendaten nimmt laut Marburger Bund im Durchschnitt drei Arbeitsstunden täglich für Ärzte und Fachpersonal ein. Viele der Schreibarbeiten sind einfache Datenübertragungen und Abschriften, die nicht zwingend vom behandelnden Arzt oder von Fachpersonal übernommen werden müssten. In den meisten Einrichtungen sind Ärzte aus Personalmangel gezwungen, anfallende Bürokratie selbst abzuarbeiten, wodurch wertvolle Behandlungszeit verloren geht.

2. Fehlende Hard- und Softwareausstattung als Zeitverzögerer

Mehrfacheingaben identischer Daten erhöhen den bürokratischen Aufwand für Kliniken und Praxen zusätzlich. Da Patientendaten in den meisten Systemen nicht automatisch synchronisiert werden, müssen identische Daten wieder und wieder verschriftlicht werden. Die Bürokratie im Gesundheitssystem basiert trotz vorhandener IT-Möglichkeiten auf unpraktischer Zettelwirtschaft. Es wundert deshalb nicht, dass trotz steigender Personalzahlen in Krankenhäusern flächendeckend Personalmangel herrscht.

3. Misstrauen und Nachweisdruck bei Krankenkassen

Die intensive Misstrauenspolitik von Versicherungen gegenüber Kliniken und Ärzten belastet das Gesundheitssystem zunehmend. Ein nennenswerter Teil der täglichen Schreibarbeit von Ärzten und Pflegepersonal wird für Rechtsfertigungsbürokratie gegenüber Krankenkassen aufgebracht. MDK-Prüfungen und Nachweispflichten wie die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0) erschweren den Arbeitsalltag von Fachpersonal oft unnötig.

4. Steigende Arbeitsbelastung durch ungenügende Refinanzierung

Krankenhäuser in Deutschland refinanzieren ihre Personalausstattung größtenteils über Fallpauschalen (DRG), die im internationalen Vergleich jedoch äußerst knapp ausfallen und oft nicht ausreichen. Das bringt Kliniken in schwierige finanzielle Situationen, da die ungenügende Refinanzierung oft nur durch sogenannte Mengenausweitung ausgeglichen werden kann: Mehr Patienten pro Arzt bedeuten mehr Budget durch Fallpauschalen. Diese Regelung wirkt sich negativ auf die Patientenversorgung aus und sorgt im Arbeitsalltag von Fachpersonal für gehäufte Überstunden und Stress.

Hand von Arzt in bürokratischen Dokumenten
aldegonde/shutterstock.com

Wie können Kliniken und Praxen unnötige Bürokratie vermeiden?

Die steigende bürokratische Belastung in medizinischen Einrichtungen ließe sich durch interne Systemreformen in Krankenhäusern und Praxen reduzieren. Ärzteverbände und Gewerkschaften weisen jedoch schon seit Jahren darauf hin, dass viele der aktuellen Missstände im Gesundheitswesen wie Fachpersonalmangel und eine hohe Arbeitsbelastung nur auf politischer Ebene gelöst werden können. Durch die Anpassung der Fallpauschalen an internationale Standards und Reformen zur schnelleren und effizienteren Dokumentation von Patientendaten könnte der Aufwand für unnötige Bürokratie im Alltag von Ärzten und Pflegern deutlich reduziert werden.

Die überfällige Gesundheitsreform - welche Maßnahmen fordern Ärzteverbände zur Verbesserung des Gesundheitssystems?

- Einrichtung von IT-gestützten Systemen zur Dokumentation von Patienten- und Behandlungsdaten zur Reduzierung von Mehrfacheingaben

- Verteilung bürokratischer Dateneingabeprozesse vom Fachpersonal hin zu Schreibdiensten und Sekretariaten

- Eine angemessene Erhöhung von Fallpauschalen für Krankenhäuser, um weitere Mengenausweitung zur Kostendeckung zu vermeiden

-Lockerung von Nachweispflichten und Rechtfertigungsfällen in der Zusammenarbeit mit Versicherungen

Fällt Bürokratie zulasten der Patientenversorgung?

Derzeit verbringen Ärzte und medizinische Fachangestellte einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit mit der Erledigung von bürokratischen Aufgaben zur Dokumentation von Patienten- und Behandlungsdaten. Der anhaltende Fachkräftemangel in Deutschland beweist, dass diese vergeudeten Arbeitsstunden für eine ausreichende Patientenversorgung dringend erforderlich wären. Die Arbeitsbelastung von Fachpersonal durch häufige Überstunden und fehlende Zeit für Patientengespräche und Pflege könnte um einiges reduziert werden, wenn die Entbürokratisierung auf gesundheitspolitischer Ebene durchgesetzt würde. Neben besseren Ausbildungs- und Karrierechancen für angehende Ärzte ist die Entlastung des bestehenden Personals in Kliniken und Praxen ein zentraler verbesserungswürdiger Punkt im aktuellen Gesundheitswesen. Mehr tägliche Behandlungszeit pro Arzt bedeutet weniger Personalmangel und somit auch eine sichere Patientenversorgung in Kliniken.

Wie kann die Entbürokratisierung Personalmangel vorbeugen?

Derzeit ist die flächendeckende medizinische Versorgung in Deutschland beschädigt, wenn nicht sogar gefährdet. Steigende Bürokratie erhöht den herrschenden Personalmangel auf künstliche Weise. Wird wertvolle Behandlungszeit durch unnötige Dokumentation und Angst vor Versäumnissen der Nachweispflicht verschenkt, leiden schlussendlich auch die Patienten. Um im internationalen Vergleich mit anderen Industrieländern bestehen zu können, braucht das deutsche Gesundheitssystem vereinfachende Reformen. Durch eine gezielte Entbürokratisierung könnte der Arztberuf attraktiver gestaltet und Kapazitäten von Fachpersonal voll ausgenutzt werden. Um Krankenhäuser und Praxen zu entlasten, ist es zwingend notwendig, dass die Politik gegen die Misstrauenskultur der Versicherungen vorgeht und Fallpauschalen anpasst.