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Zwei Chirurgen sitzen psychisch überlastet auf dem Boden in einer Klinik
Robert Kneschke/shutterstock.com

Psychische Krankheiten in der Medizin - wie spreche ich Kollegen darauf an?

Im medizinischen Bereich ist die sogenannte "Seelenhygiene" ein wichtiger Grundpfeiler des Arbeitsschutzes. Ärzte, Assistenten und pflegendes Personal stellen sich im Arbeitsalltag mitunter starken psychischen Belastungen. Besonders in der Notfallmedizin können täglich Situationen auftreten, die belastend wirken und im Zusammenspiel mit persönlichen Problemen depressive Verstimmungen, Suchterkrankungen oder Zwangsstörungen begünstigen können. Doch auch im administrativen Bereich und in Privatpraxen sollten Kollegen aufeinander achten und sich nicht scheuen, mögliche persönliche Probleme anzusprechen. Die Initiative “Neue Qualität der Arbeit” des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gibt in einem Leitfaden Tipps, wie Sie Kollegen auf eine psychische Erkrankung ansprechen können.

In diesem Artikel:

Dürfen psychische Probleme unter Kollegen angesprochen werden?

Psychische Erkrankungen sind in vielen Betrieben und Arztpraxen ein Tabu-Thema. Dabei ist die psychische Gesundheit besonders im medizinischen Bereich eine wichtige Voraussetzung für den reibungslosen Arbeitsablauf und für eine optimale Patientenversorgung. Verhalten Kollegen oder Kolleginnen sich abwesend, sind sie im Arbeitsalltag plötzlich unzuverlässiger oder wirken zerstreut, meiden die meisten Menschen das direkte Gespräch. In hierarchischen Arbeitsstrukturen sind die Unsicherheiten noch größer: Darf ich meinen Chef, meine Angestellten oder geschätzte Experten in ihrem Fach überhaupt auf ihre aktuelle Lebenssituation ansprechen?

Persönliche Probleme sind bis zu einem gewissen Grad natürlich Privatsache. Für das Arbeitsklima und für Betroffene selbst kann es jedoch hilfreich sein, wenn Probleme offen angesprochen und reflektiert werden. Betroffenen fällt es vor einem offenen Gespräch mit anderen oft schwer, sich ihre Probleme einzugestehen und gegebenenfalls psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Haben Sie den Verdacht, dass Ihre Kollegen unter psychischen Belastungen leiden und möglicherweise mehr auf sich achten sollten, sprechen Sie den Betroffenen direkt an. Mutmaßungen unter Kollegen könnten das Arbeitsklima verschlechtern und Unsicherheiten bei Betroffenen verhärten. Unabhängig vom Arbeitsverhältnis sollten Ärzte, Pflegepersonal und administrative Mitarbeiter aufeinander achten und Probleme direkt ansprechen, anstatt Gerüchten Tür und Tor zu öffnen. Wie Sie den Betroffenen ansprechen sollten, und auf was Sie achten sollten, erläutern wir im Folgenden.

Welche Warnsignale für psychische Erkrankungen gibt es?

Das Leben hat Höhen und Tiefen - in jeder Branche wirkt sich die persönliche Tagesform der Mitarbeiter mehr oder weniger auf die Leistung aus, was völlig normal ist. Ärzte, Pflegepersonal und administrative Mitarbeiter leben eben nicht nur für ihre Arbeit und durchleben Schicksalsschläge, Glücksmomente, Trennungen und Veränderungen wie jeder Mensch. Kurzzeitige Tiefphasen oder Konzentrationsschwierigkeiten sind also kein Grund zur Sorge und haben ihre Daseinsberechtigung im Leben. Sollten sich depressive Verstimmungen und andere Auffälligkeiten über einen Zeitraum von zwei Wochen hinausziehen oder häufiger schubweise auftreten, könnte dies ein erstes Anzeichen für ernsthafte psychische Probleme sein.

Wie äußern sich psychische Probleme im Arbeitsalltag?

  • Betroffene ziehen sich häufig zurück und meiden soziale Kontakte oder Smalltalk unter Kollegen.
  • Starke emotionale Reaktionen auf Alltäglichkeiten könnten Anzeichen für eine erhöhte Reizbarkeit sein. Diese kann sich unterschiedlich äußern, sodass Betroffene ständig aggressiv, ängstlich, traurig oder gehetzt wirken.
  • Häufige Müdigkeit und Lustlosigkeit sind eher subtile Anzeichen für psychische Probleme und werden von Betroffenen und Kollegen leicht als "Faulheit" abgetan.
  • Psychische Leiden werden von Betroffenen häufig marginalisiert und mit Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schwindel und anderen körperlichen Leiden begründet. Häufige körperliche Beschwerden und Krankmeldungen könnten auch einen psychosomatischen Ursprung haben.
  • Anzeichen für Drogenkonsum oder regelmäßigen Alkoholkonsum sollten unter Kollegen im medizinischen Bereich nicht unbeachtet bleiben. Rechtlich sind Arbeitgeber dazu befugt, Arbeitnehmern bei einem begründeten Verdacht auf Drogenabhängigkeit das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Bevor solche drastischen Maßnahmen ergriffen werden, sollten betroffene Kollegen die Chance erhalten, ihr Verhalten zu reflektieren und Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Junge Medizinerin sitzt verzweifelt an Ihrem Schreibtisch und schaut frustriert nach unten
H_Ko/shutterstock.com

Wie bereite ich ein Gespräch über psychische Erkrankungen unter Kollegen vor?

Im Leitfaden der Offensive Psychische Gesundheit der INQA wird zu einer sorgsamen Gesprächsvorbereitung geraten, wenn Sie Kollegen auf psychische Erkrankungen ansprechen möchten. Ein Gespräch über eine mögliche psychische Erkrankung sollte nicht im Affekt stattfinden. Im richtigen Setting unter vier Augen können Kollegen sich leichter öffnen. Zur Vorbereitung des Gesprächs gehört außerdem die aufmerksame Beobachtung des Problems. Informieren Sie sich noch vor dem Gespräch, ob möglicherweise anderweitige Probleme vorliegen, die das Verhalten des Betroffenen auffällig erscheinen lassen. Falsche Schlüsse sind schnell gezogen, wenn es um individuelle Probleme und Bewältigungsstrategien geht. Zeigen Sie Interesse am Befinden Ihrer Kollegen und Kolleginnen und bringen Sie - wenn möglich - Verhalten und Lebenssituation in einen sinnvollen Kontext. Wenn der Chef gerade eine Scheidung durchmacht oder ein Kollege seinen Hundewelpen erzieht, sind Veränderungen im Verhalten und häufige Müdigkeit im gewissen Rahmen normal und es bedarf in der Regel keines persönlichen Gespräches. Individuelle Stressfaktoren und mögliche Fehlinterpretationen sollten Sie also nach Möglichkeit abklären und in Betracht ziehen, bevor Sie über Auffälligkeiten sprechen.
In einigen Fällen macht es Sinn, dass das Gespräch von einer Kollegin bzw. einem Kollegen geführt wird, der bereits selbst Erfahrung mit psychischen Erkrankungen gemacht hat. Jemand, der selbst oder in seinem sozialen Umfeld Erfahrungen gesammelt hat, kann womöglich schneller eine Vertrauensbasis zum Betroffenen aufbauen.

Wann sollten psychische Probleme unter Kollegen angesprochen werden?

Vor einem Gespräch unter Kollegen sollten Sie einen geeigneten Rahmen festlegen. Wählen Sie einen ruhigen Ort in einem geschlossenen Raum oder draußen im Freien. Zwischenzeitliche Störungen durch Anrufe, Kollegen und Passanten sollten vermieden werden - schalten Sie Ihr Handy während des Gesprächs aus und bitten Sie anklopfende Dritte um Ruhe, wenn möglich. Das Gespräch sollte nicht länger als eine halbe Stunde dauern und dem oder der Betroffenen frühzeitig angekündigt werden. Der richtige Zeitpunkt zum Ansetzen des Gesprächs ist gekommen, wenn Sie oder andere Kollegen sich Sorgen um Betroffene machen. In manchen Fällen fällt auch Patienten auf, dass Ärzte psychisch gestresst wirken und geben ihre Beobachtungen an Mitarbeiter weiter. Ein Gespräch über psychische Probleme muss nicht erst stattfinden, wenn Sie die Arbeitssicherheit durch das Verhalten von Betroffenen gefährdet sehen. Sprechen Sie Auffälligkeiten ruhig frühzeitig an, um Ihre Kollegen zu schützen und psychischen Problemen bestenfalls vorzubeugen.

Wie kann ich Kollegen direkt auf psychische Erkrankungen ansprechen?

Im Leitfaden der Offensive für psychische Gesundheit wird klar davon abgeraten, selbst Diagnosen zu stellen oder Rechtfertigungen von Betroffenen einzufordern. Ziel des Gespräches sollte es sein, Betroffene auf Verhaltensauffälligkeiten hinzuweisen und Hilfe anzubieten. Kommunizieren Sie Ihre Sorgen wertschätzend und ohne Zwang.

Wie kommuniziere ich meine Beobachtungen neutral?

Ich-Botschaften wirken bewertungsfrei und können ohne Mutmaßungen getroffen werden. Vermeiden Sie Sätze wie "Dein Verhalten hat sich verändert". Zur Einleitung eines Gespräches über Verhaltensauffälligkeiten unter Kollegen sollten Sie den Fokus auf sich selbst legen: "Ich habe bemerkt, dass du in letzter Zeit oft sehr müde wirkst. Geht es dir gut?" Stellen Sie keine Behauptungen auf und kommunizieren Sie deutlich Ihre Sorge um den Betroffenen. Vermeiden Sie dabei schwammige Andeutungen und Beschwerden.

Wie können Kollegen sich im Gespräch über psychische Probleme öffnen?

Wenn Sie einen Kollegen auf eine psychische Erkrankung ansprechen, steht das Zuhören im Mittelpunkt. Betroffene sollten die Chance erhalten, ihr Verhalten zu reflektieren und über persönliche Probleme zu sprechen. Ratschläge und eigene persönliche Anekdoten sind in so einem Gespräch fehl am Platz. Gegebenenfalls können Sie Hilfe in Form von Kontakten zu Beratungsstellen oder Psychologen anbieten. Zielführend sind offene Fragen: "Belastet Sie momentan etwas?" oder "Könnte es sein, dass Sie etwas beschäftigt?"

Wie weise ich Kollegen auf Verhaltensauffälligkeiten hin?

Jeder Mensch reagiert anders, wenn er mit persönlichen Problemen konfrontiert wird. Ein offenes Gespräch sollte nicht forciert werden. Ablehnung ist eine normale Reaktion, wenn Menschen mit heiklen persönlichen Angelegenheiten konfrontiert werden. Schildern Sie neutral Situationen, in denen Sie Verhaltensauffälligkeiten beobachtet haben und äußern Sie Ihre Sorge mit Wertschätzung für Ihre Kollegen. Kommt danach nicht sofort ein konstruktives Gespräch zustande, zeigen Sie Geduld und geben Sie Ihren Kollegen Freiraum zur Selbstreflexion.

Fazit: Wie können Ärzte und Angestellte im medizinischen Bereich besser auf Kollegen achten?

Statistisch betrachtet leiden Ärzte deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen wie Suchtproblemen, Burnout und Depressionen als Arbeitnehmer in anderen Berufsgruppen. Auch die Suizidalität liegt bei Medizinern und Angestellten im medizinischen Bereich höher als in der Gesamtbevölkerung. Kollegen in medizinischen Einrichtungen sollten deshalb auf sich und ihre Kollegen achten und das Thema psychische Gesundheit nicht tabuisieren. Im persönlichen Gespräch können Sie Verhaltensauffälligkeiten neutral ansprechen und Hilfe anbieten, wenn Sie sich um Kollegen sorgen. Sollten Sie dabei auf Ablehnung stoßen, nehmen Sie es nicht persönlich! Wichtig ist, Betroffene respektvoll und ohne Druck auf mögliche Probleme anzusprechen.